Zugunsten der Gegend
„Zugunsten der Gegend“
06. – 19.09.2020 at Berlin Decks, Moabit
Die Gegend, auf die sich die Künstler*innen Christian August, Susanne Bonowicz, Lena Marie Emrich, Moritz Neuhoff und das Kollektiv KLUB7 beziehen, ist gleichzeitig auch der Entstehungsraum ihrer künstlerischen Arbeiten.
Diese ist einmal die Stadt, als Ort und Ökosystem mit wechselseitigen Beziehungen und Spannungen in der das Schaffen der Künstler*innen durch ihre Lebens- und Arbeitsräume verankert ist. In einem weiteren Sinne beschreibt die Bezeichnung der Gegend eine Geisteshaltung, das Umfeld der künstlerischen Auseinandersetzung und Quelle von Einwirkungen, die ins Werk gebracht werden.
Zugunsten der Gegend zeigt fünf Positionen, die abstrakte gestische Malerei und Skulptur als Sprache des Ausdrucks von Begegnungen, Koinzidenz und Prozessen nutzt und so einen Schlüssel für die Übersetzung von Sinneseindrücken einer Metropole schafft. Einzelne Situationen und Interaktionen werden herausgelöst und verstärkt, komplexe Zusammenhänge in einfache Gebilde übersetzt und vice versa. In jeweils eigener (Formen-)Sprache werden so gebaute und gesellschaftliche Stadt zusammengebracht und gegenübergestellt.
Monochrome Flächen, die das abstrakte bildliche Geschehen im Hintergrund überlagern, ziehen sich durch die Malereien von Christian August. Sie dienen als Orientierungspunkt und Ruhepol in einer sonst losgelösten poetischen Sichtbarmachung von Prozessen. Einzelne Linien, die in den Vordergrund treten, der Fokus auf etwas Bestimmtem, das wieder zu entgleiten scheint, treffen auf Momente der Unschärfe die Flüchtigkeit und Bewegung suggeriert. Vergänglichkeit und Veränderungsprozesse, die in städtischen Räumen stattfinden fasst August zusammen, erweitert sie und schafft so einen Zeitraffer des urbanen Lebens mit Momenten des Innehaltens.
Die oft grelle Farbauswahl von Susanne Bonowicz und die damit geschaffenen Kontraste lassen vor allem die Dynamik und das Chaos einer Stadt erfahrbar werden. Die Überlagerungen von grafischen und organischen Linien, monochromen sowie transparenten Flächen und wiederkehrenden pseudo-typografischen Elementen lassen den Eindruck eines Horizontes mit davor liegenden Ebenen entstehen. Diese werden zu einer Bühne, auf der organische und grafische Formen zusammentreffen und Kontrollierbares mit Elementen und Geschehnissen, die außerhalb des Menschlichen Handlungsraumes liegen, zusammentreffen. Diese wechselseitigen Beziehungen, Spannungen und die gegenseitige Einflussnahme und gleichzeitige Entgleisung visualisiert die untrennbare Verflochtenheit dieser sich überlagernden Prozesse.
Die Skulpturen von Lena Marie Emrich greifen aus ihrem Entstehungskontext losgelöste Spuren von Interaktionen und Bewegungsabläufen auf. Stilisierte Flugzeugfenster tragen die eingravierten Abdrücke menschlicher Körperteile, die sich an sie gelehnt zu haben scheinen. Die Objekte erzählen vom Zusammentreffen vermeintlich starrer alltäglicher Gegenstände und menschlichen Sehnsüchten und konservieren diese in einfacher Formensprache. Die Arbeiten der Serie Mainly tragen die Form von Handtrocknern, die sonst nur durch die Interaktion mit Menschen und der Einhaltung bestimmter Bewegungsabläufe zum Leben erweckt werden. Ihre aus dem Auto-Tuning entlehnte Flip-Flop Lackierung lässt sie Fetisch-Objekten werden — losgelöst von ihrer Zweckgebundenheit und unabhängig von menschlichem Wirken.
Wie unabhängige Organismen erscheinen auch Moritz Neuhoffs Malereien. Der reliefartige Pinselstrich wirkt in dynamischer Körperlichkeit innerhalb des Bildrahmens arrangiert. Die plastische Anmutung entpuppt sich beim Herantreten allerdings als optische Täuschung. Die Arbeiten kokettieren mit dem Licht digitaler Oberflächen – das scheinbare Leuchten der Bilder ist weder bildintern, -extern noch Reflexion. Es werden Fragen nach Künstlichkeit und Authentizität von Malerei provoziert. Zugleichen werden uns unsere eigenen medialen Wahrnehmungsgewohnheiten vorführt. Doch gerade diese Gewohnheiten und Erwartungshaltung mit Digitalem und künstlichem Licht sind nötig, um die spezielle Sichtweise auf und Erfahrungen der Arbeiten zu ermöglichen.
Eine konsequente Einflechtung der Umgebung wird in der Außeninstallation des des Künstlerkollektivs KLUB7 vollzogen. Durch die Collage von Materialen, die aus dem Stadtraum kommen, verschmelzen das Außen und Innen im Werk. Neben der Stilisierung komplexer Formen und dem Verdichten von Strukturen manifestiert sich die Auseinandersetzung mit dem Umfeld hier vor allem durch den kollaborativen Prozess. Gleichzeitig fungiert das Zusammenkommen der einzelnen Akteure hier als Form der Aneignung von Arbeits- und Lebensraum.
Die Installation von KLUB7 wie auch die künstlerische Praxis von Moritz Neuhoff, Christian August, Susanne Bonowicz, und Lena Marie Emrich schöpfen aus individuellen urbanen Eindrücken und sind geprägt von den zahlreichen, sich überlappenden Mikrokosmen der Künstler*innen und ihrer Manifestation in Form eines kurzen Eindrucks bis hin zu einem Lebensgefühl.
Die Arbeiten erscheinen wie Organismen, die die Stadt als Nährboden brauchen, aus ihr heraus gedeihen und schließlich in Symbiose mit ihr leben.
Anna-Lisa Scherfose is a project manager, writer and curator living and working in Berlin and Frankfurt am Main. She is currently finishing her M.A. in „Curatorial Studies“ at Städelschule Frankfurt and is the program manager of BPA // Berlin program for artists.