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Exhibition View at Münzmeisterhaus Coburg, Stahlberg Collection, 2025
Exhibition View at Münzmeisterhaus Coburg, Stahlberg Collection, 2025

Pola Sieverding, Arena
Vom Mythos „Männlichkeit“ 

von Ann-Katrin Günzel

Wir sehen ineinander verschlungene Körper, die sich gegenseitig mit festem Griff umfassen. Auf die Haut tätowierte Muster folgen dem Verlauf der Körperlinien und akzentuieren damit ebenso wie die durch die Anstrengung plastisch hervortretenden Muskeln und Adern die trainierten Partien. In den Arbeiten der Berliner Künstlerin Pola Sieverding treten Körper als Orte einer eigenen Wirklichkeit auf und inszenieren sich dabei selbst als Protagonisten eben dieser Welt; – einer Welt, die von ungleichen Machtverhältnissen geprägt ist, in der Männer im Mythos der eigenen Stärke ihre Dominanz behaupten und diese immer weiter ausbauen. Zu dieser Welt gehört auch der sehr körperliche Kampf. Den stellen Sieverdings Bilder im Stillstand der Momentaufnahme durch die Betonung von Details theatral in den Fokus und laden ihn dabei mit Bedeutung auf. Episch werden diese Momente durch den Blick, mit dem die Künstlerin sie einfängt, durch ihre Strategie, den flüchtigen Prozess der kombattanten Begegnung mit all seiner Spannung in ein bekanntes Bild zu transportieren, ikonisch werden zu lassen. Gemessen an einem klassischen, antiken Körperideal, sind es Bilder, die dem jahrhundertealten Mythos starker Männerkörper entsprechen. Angriffsbereit, auf den Moment der Kraftanstrengung konzentriert, erwartungsvoll und wachsam Stärke demonstrierend, angespannt lauernd in Pose gebracht. Auf Attraktivität bedacht. 

Pola Sieverding
Arena 06, 2014

Pigment print on paper
168 x 112 cm
Edition of 5 14.300,00 EUR (incl. VAT)

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Pola Sieverding
Arena #02, 2014

Pigment print on paper
168 x 112 cm
Edition of 5 14.300,00 EUR (incl. VAT)

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Wie Helden aus der antiken Mythologie und der Kunstgeschichte inszenieren sich die von Sieverding fotografierten Körper der Wrestler in ihrer Welt. Sie gleichen den Renaissance-Heroen eines Michelangelo oder auch gewichtigen Märtyrerleibern aus den barocken Gemälden eines Rubens, manifestieren sie sich doch ebenso dramatisch auf ihre Körperlichkeit fokussiert, indem sie zunächst im Scheinwerferlicht und dann erneut von der Kamera der Künstlerin aus dem Halbdunkel herausgeleuchtet werden. Das durch das Licht auf den Ring in der Arena konzentrierte Geschehen wird im Kontrast mit dem fast schwarzen Hintergrund, der alles andere verschluckt, überdeutlich inszeniert: der Raum verschwindet, die Pose übernimmt die Regie und nimmt als Bild Gestalt an. Räumliche Begrenzung tritt nur vordergründig durch die Seile in Erscheinung, die ebenso wie die Outfits, die mit Mustern und Farben glänzen und aus zum Teil maßgeschneiderten Tights und Wrestling Stiefeln bestehen, den Rahmen der Veranstaltung definieren. 

Pola Sieverding
Arena #05, 2014

Pigment print on paper
168 x 112 cm
Edition of 5 14.300,00 EUR (incl. VAT)

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Pola Sieverding
Arena #08, 2014

Pigment print on paper
168 x 112 cm
Edition of 5 14.300,00 EUR (incl. VAT)

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Im Ring der Wrestler ist es eine Regel, dass die Präsentation stimmen muss. Auf das Auftreten und das gute Aussehen kommt es an. Wrestling ist eine Kunstform und so ist entsprechendes Posing möglich: wie beim Tanz wird vorher eine Choreografie festgelegt, der Kampf ist also abgesprochen, das Drama geplant, fiktionale Charaktere sind Teil der Storyline und der Sieger steht bereits vor dem Match fest. Ebenso wie im antiken Helden-Kampf, erfolgt auch beim Wrestling eine festgelegte Aufteilung in „Gute“ (Faces) und „Böse“ (Heels) – eine simple Rangordnung, die während der ganzen Handlung durchgezogen wird. Trotz der bühnenhaften Darstellung der Athleten wird die Illusion des echten Wettkampfes aufrechterhalten, High-Risk Manöver sind Teil der Show und halten das Publikum in Spannung. Wenn es gelingt, bleiben auch die Geheimnisse hinter der Storyline verborgen und das Publikum erlebt das Spektakel wie einen realen Kampf. Es wohnt dann einer Inszenierung von Männlichkeit bei, die scheinbar schon immer Ausdruck sozial maßgeblicher Tugenden, wie Mut, Kraft, Ausdauer, Entschlossenheit und Tapferkeit war, Tugenden, die für einen gesellschaftlichen Machterhalt instrumentalisiert werden, und mit denen nichts Geringeres versprochen wird, als dass sie die Welt retten können. Als dynamische Kompositionen statuarischer Körperformen präsentieren die kämpferischen Posen sich allerdings um ihrer selbst willen, weswegen jede über das Imaginäre hinausgehende Referenz ins Leere laufen muss. Und damit entsprechen sie einem aktuellen Heldenhabitus und begeben sich mitten in den zeitgenössischen Diskurs. 

Pola Sieverding
Valet Redux #37, 2014/2025

Pigment Print auf Papier
60 x 61,5 cm (ca. 65 x 66,5 cm gerahmt)
Edition 5 + 2AP 5.000,00 EUR (incl. VAT)

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Pola Sieverding
Arena #10, 2014

Pigment print on paper
112 x 168 cm
Edition of 5 14.300,00 EUR (incl. VAT)

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Pola Sieverding zeigt den Körper als Ausdrucksmedium und macht ihn zu einem Bild unserer Gesellschaft – einer Gesellschaft, die einerseits eine digitale Welt kreiert, in der Körper hinter dem Screen verschwinden und zu reinen, immateriellen Bildern werden, und die sich andererseits pausenlos mit dem eigenen sehr materiellen (als defizitär empfundenen) Körper beschäftigt und ihn als Ergebnis von Disziplin, Selbstkontrolle, Enthaltsamkeit sowie mit hohem Engagement über Social Media der Öffentlichkeit präsentiert, um dafür möglichst viel Anerkennung zu erhalten und somit wiederum den eigenen Selbstwert zu konstruieren. Und das betrifft längst nicht mehr nur weibliche, sondern vor allem auch männliche Körper. Geprägt von Optimierungswahn werden fortwährend Körpermaße diskutiert, Ernährung kommentiert und Strategien für ein perfektes, makelloses Aussehen ersonnen. Besessen von Kinnriemen und Cupping, im „how not to age-Fieber“, wird zwar niemand jünger, aber jede*r kann sich immer besser konservieren und den eigenen Körper (aus)gestalten. Auf diese Weise kristallisieren sich Genderstereotype heraus, die körperlich besonders von jungen Männern im Fitnessstudio ausdifferenziert werden. Sixpack-Influencer werden mit ihren Krafttraining-Tipps und Empfehlungen für muskelorientierte Ernährungsgewohnheiten schon für Teenager zu Vorbildern und prägen wie selbstverständlich das Bild des athletischen Körpers als besonders erstrebenswert. Obwohl mit LGBTQIA+ die Queer- und Trans*bewegung längst im Alltag präsent ist und es mehr Geschlechtsidentitäten, sexuelle Orientierungen und körperliche Vielfalt gibt als je zuvor, erlebt die binäre Geschlechtertypisierung ihre erstaunliche Renaissance vor allem durch die Manifestation von sog. „Männlichkeit“ mit einem starken Fokus auf testosterongetränkte Verhaltensweisen, die sich in einem traditionell muskulösen Körperbild spiegeln. Infolgedessen werden Körper von Superhelden als „Marvel-Body“ zum Vorbild erklärt, egal, welchen tatsächlichen physischen Ansprüchen sie ausgesetzt sind – Hauptsache sie zeigen Bizeps. Chris Evans, 2022 von der Zeitschrift People zum „Sexiest Man Alive“ gekürt, musste für seinen Marvel Body ca. 10 kg Masse zulegen, um dem Bild des starken, resp. muskulösen Mannes zu entsprechen. Diese sozialen Konstruktionen von Männlichkeit können einerseits schnell toxisch werden – spätestens, wenn die Unterdrückung von Frauen in ihr Konzept gelangt und misogyne Alpha Männer dann bei einem selbsternannten Top-Gangster Andrew Tate im Internet in die Schule gehen, um Stärke zu demonstrieren, indem sie gewalttätig werden. 

Exhibition View at Münzmeisterhaus Coburg, Stahlberg Collection, 2025
Exhibition View at Münzmeisterhaus Coburg, Stahlberg Collection, 2025

Pola Sieverding
Valet Redux #2, 2014/2025

Pigment Print auf Papier
60 x 61,5 cm (ca. 65 x 66,5 cm gerahmt)
Edition 5 + 2AP 5.000,00 EUR (incl. VAT)

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Pola Sieverding
Valet Redux #32, 2014/2025

Pigment Print auf Papier
60 x 61,5 cm (ca. 65 x 66,5 cm gerahmt)
Edition 5 + 2AP 5.000,00 EUR (incl. VAT)

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Pola Sieverding
Valet Redux #49, 2014/2025

Pigment Print auf Papier
60 x 61,5 cm (ca. 65 x 66,5 cm gerahmt)
Edition 5 + 2AP 5.000,00 EUR (incl. VAT)

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Andererseits können diese Konzepte aber auch sehr schnell brüchig werden und die scheinbare Notwendigkeit, sich zu behaupten, gegeneinander anzutreten, um zu beweisen, wer der Stärkere ist, im Kampf miteinander zu ringen, und muskelbepackte Macht zu demonstrieren, kann sich zu einem Bild voller Widersprüche entwickeln. Das passiert zumeist eher im Hintergrund und zeigt sich erst, wenn man ganz genau hinsieht. So wie Pola Sieverding. Sie hat in ihrer Serie „Valet Redux“ Polaroids zu Pigmentdrucken digitalisiert und vergrößert. Die dabei entstehende Unschärfe, so die Künstlerin, schärfe den Blick, „für das, was sich der Eindeutigkeit entzieht: die Fragilität und die Sinnlichkeit männlicher Körperbilder“. Das inszenatorische Ausdrucksmittel der Ausschnitthaftigkeit, das sie anwendet, bringt in der Fokussierung auf das Detail eine fast intime Nahsicht hervor, welche die Textur und die Verletzbarkeit der Haut so betont, dass der Impuls geweckt wird, sie zu berühren, und das obwohl, oder weil, die Abbildungen der Körper geradezu abstrakt erscheinen, sich aus jedem Kontext lösen und als Bilder eigenständig werden. Unscharfe Übergänge vom Körper zum Hintergrund, weiche Hautoberflächen mit unklaren Hell-Dunkel Abgrenzungen werden dann zu abstrakten Farbfeldern, zur reinen Oberfläche, die das Lichtspiel einfängt und sich darin aufzulösen scheint. Einzelne Körperteile sind nicht mehr oder nur auf den zweiten Blick erkennbar, Male und Flecken auf der Haut betonen die Unschärfe, die unseren mittlerweile smartphonegewöhnten Sehsinn gedankenlos dazu auffordern das Bild mit den Fingern heran- oder wegzuzoomen, den Ausschnitt zu korrigieren, um mehr zu erkennen von diesen Körperstrukturen, die sich auf der planen Fläche des Fotopapiers geradezu materialisieren. 

Exhibition View at Münzmeisterhaus Coburg, Stahlberg Collection, 2025
Exhibition View at Münzmeisterhaus Coburg, Stahlberg Collection, 2025

Pola Sieverding
Valet Redux #51, 2014/2025

Pigment Print auf Papier
60 x 61,5 cm (ca. 65 x 66,5 cm gerahmt)
Edition 5 + 2AP 5.000,00 EUR (incl. VAT)

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Pola Sieverding
Valet Redux #41, 2014/2025

Pigment Print auf Papier
60 x 61,5 cm (ca. 65 x 66,5 cm gerahmt)
Edition 5 + 2AP 5.000,00 EUR (incl. VAT)

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Betrachtet man mit Foucault (1) den Körper als den „Nullpunkt der Welt“, als den „Ort, an dem Wege und Räume sich kreuzen“, dann ist er in der Welt der Wrestler, die Pola Sieverding uns offenbart der stets wandlungsfähige Ort, der seine eigene Wirklichkeit kreiert. Mit Tätowierungen, Masken, Schmincke oder auch über ritualisierte Kleidung gelingt es, die Wirklichkeit zu hinterfragen, auf dem Körper, so Foucault, eine Sprache niederzulegen und ihn in einen Raum zu versetzen, der nicht direkt zu dieser Welt gehört. Es ist genau diese Vorstellung einer anderen Welt, die sich in der Show und ihrer dazugehörigen Storyline Gestalt annimmt, während sich die Körper ganz real im Raum in dieser Welt bewegen und ihre Vorstellungen von Innen nach Außen projizieren. Im Zustand des inszenierten Kampfes können die Körper wie in einem Rausch eine Dimension besetzen, die zugleich „hier“ und „anderswo“ bedeutet.


1) Michel Foucault, Der utopische Körper, Radiovortrag vom Dezember 1966, hrsg. bei Suhrkamp 2013.

Pola Sieverding’s artistic practice is largely comprised of photo series and films in which she re-examines traditional perspectives on cultural structures and motifs from a different angle. Particularly fascinating is her compositional approach, in which her photographs reference art history. Through photography, video, and sound, she investigates the physical body as a vessel of historical narratives that inform a contemporary discourse on the social body. Her series of recent years build upon one another, offering viewers the experience of being drawn into her gaze and allowing the tension and staging of her works to unfold.

Her work has been exhibited at institutions including the NRW Forum Düsseldorf, MedienKunstVerein Dortmund, MAK – Museum of Applied Arts Vienna, Lippische Gesellschaft für Kunst Lemgo, Villa Schöningen Berlin, Max Liebermann Haus Berlin, the Helmut Newton Foundation Berlin, among others.

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